Untersuchungen, die sich mit dem Glücksspiel in Deutschland befassen, haben es dieser Tage alles andere als leicht: Vor allem der Glücksspiel-Survey stand Ende des letzten Jahres und noch einmal Anfang 2024 wegen eventuellen methodischen Fehlern massiv in der Kritik. Jetzt wird beim Survey bzw. bei dessen Verantwortlichen abermals mit Bedenken nachgehakt – und auch der Glücksspielatlas erfährt einigen Tadel. Die Bremer FDP zweifelt, daran, dass die Erhebungen ihren eigentlichen Anspruch auf Unabhängigkeit erfüllen, da offenbar Gelder aus der Glücksspielbranche geflossen sind.

Der Glücksspiel-Survey und der Glücksspielatlas sind als zwei der wichtigsten Werkzeuge für die Informationsbeschaffung rund um die deutsche Glücksspiellandschaft angelegt. Beim Survey geht es insbesondere darum, epidemiologische Erkenntnisse über die Glücksspielteilnahme und -probleme der Bevölkerung zu erhalten und entsprechende Defizite damit zu verbessern. Der Atlas versteht sich mehr als Nachschlagewerk, das maßgeblich dabei unterstützen soll, das Geschäft zu verstehen, dessen Wandel sowie betreffende Schwierigkeiten bzw. Relevanzen nachzuvollziehen und die Branche insgesamt voranzutreiben. Epidemiologische Daten sind hier aber ebenfalls elementar. Beide Erhebungen basieren auf der Befragung bestimmter Personengruppen und erscheinen regelmäßig mit aktualisierten Daten, um die Entwicklung der Situation nachvollziehbar zu machen.

Gerade die Sinnhaftigkeit des Glücksspiel-Surveys wurde in der jüngeren Vergangenheit gleich mehrmals infrage gestellt. Die renommierte Statistikerin Katharina Schüller beanstandete, dass der Survey für das Jahr 2021 erhebliche Schwächen in Kontrolle, Methodik und Ergebnissen aufweisen würde. Sie ging so weit, der Erhebung die Tauglichkeit als wissenschaftliche Basis für eine politische Diskussion zum problematischen Glücksspiel abzusprechen.

Auch die 2023er-Ausgabe musste einiges an Gegenwind hinnehmen. Dieses Mal waren es die Deutsche Automatenwirtschaft (DAW) und der Deutsche Sportwettenverband (DSWV), die bemängelten, dass die offenbar nicht stichhaltige Methodik beibehalten wurde. Man erwarte weiterhin „die Veröffentlichung der Rohdaten, da Transparenz der Datenerhebung und -auswertung von entscheidender Bedeutung für den wissenschaftlichen Diskurs sei“.

Jetzt steigt die Bremer FDP mit einem weiteren Punkt in den Diskurs ein. Sie stellte kürzlich eine Kleine Anfrage mit dem Betreff „Evaluierung Glücksspielsstaatsvetrag“ (Fehler aus dem Schreiben der FDP übernommen) an den Senat, in der sowohl beim Glücksspiel-Survey als auch beim Glücksspielatlas an der Unabhängigkeit gezweifelt wird. Die FDP bezieht sich im Wesentlichen auf die Bezeichnung der Initiatoren als „unabhängige Wissenschaftler“ in einer früheren Korrespondenz, obwohl eine finanzielle Förderung aus der Glücksspielindustrie stattgefunden habe. Darüber hinaus spricht man in einer Reihe von Fragen weitere Kritikpunkte in diesem Zusammenhang an, die Teilweise auch schon früher beanstandet wurden.

Sind der Glücksspiel-Survey und der Glücksspielatlas wirklich unabhängige Untersuchungen?

Der Glücksspielatlas und der Glücksspiel-Survey werden beide von der Universität Bremen organisiert. Verantwortlich ist vor allem die Arbeitseinheit Glücksspielforschung mit ihrem Leiter Dr. Tobias Hayer. Darüber hinaus beteiligt sich das Hamburger Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD).

Die FDP spricht in ihrem Schreiben zunächst die breite Kritik an der Methodik und am Umgang mit den Daten des Surveys an. Auch bei den Zahlen des Glücksspielatlas soll nicht sauber gearbeitet worden sein. Auf diese Punkte wird in den Fragen, die man dem Senat zum Thema übermittelte, noch genauer eingegangen. Diese reihen sich weitgehend in die Bemängelungen der Vergangenheit ein und/oder führen sie weiter.

Neu ist die Infragestellung des Verantwortlichen, Dr. Hayer, als „anbieterunabhängig“ und Teil der „anbieterunabhängigen Suchtforschung“. So wurde er offenbar in einer früheren Korrespondenz („Drucksache 21/290“) mehrfach genannt. Dass, obwohl ein Empfang von Fördermitteln des Rechtsausschusses des Deutschen Lotto- und Totoblocks bekannt war, „welcher sich mit Herrn Dr. Hayers Mitgliedschaft im Fachbeirat zeitlich überschnitt und der auf Seite des Fachbeirats Glücksspiel auch korrekterweise als möglicher Interessenkonflikt deklariert wurde“. Im selben Kontext werden des Weiteren die Autoren Prof. Dr. Gerhard Meyer und Dr. Jens Kalke bzw. deren Unabhängigkeit in die Kritik genommen.

Die Kleine Anfrage der FDP an den Senat beinhaltet noch mehr als konkrete Kritik an der Unabhängigkeit der Erhebungen

Die FDP stellt dem Senat auf Basis der Einleitung ihres Schreibens konkrete Fragen, die ihren Standpunkt unterstreichen sollen. Insgesamt fordert man eine transparentere Sicht auf die Glücksspielforschung und deren Methodik.

Hier die interessantesten Zeilen zusammengefasst:

  • „Sind nach Auffassung des Senates Wissenschaftler, deren Forschung vom staatlichen Marktteilnehmer Lotto gefördert wird, ‚anbieterunabhängig‘ bzw. ‚branchenunabhängig‘? Bitte begründen.“
  • „Ist dem Senat bewusst, dass Dr. Tobias Hayer ein ‚Glücksspielmonopol‘ als wünschenswert betrachtet? Falls ja, teilt der Senat diese Zielvorstellung?“
  • Wie bewertet der Senat, dass die Rohdaten und genutzten Fragebögen des Glücksspiel-Survey 2021 entgegen der ‚Standards guter wissenschaftlicher Praxis‘ der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Praxis der früher mit der Erhebung betrauten Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nicht veröffentlicht wurden?“
  • „Setzt sich der Senat gegenüber den Autoren des Glücksspiel-Survey 2021 dafür ein, dass die Rohdaten und genutzten Fragebögen zur Ermöglichung einer evidenzgestützten Debatte über die Glücksspielregulierung zusammen mit dem Ergebnisbericht veröffentlicht werden, wie dies bei den Vorgängerstudien der BZgA üblich war? Falls nein, warum nicht?“
  • „Ist nach Auffassung des Senats eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse des Glücksspiel-Survey 2023 mit den Ergebnissen des Glücksspiel-Survey 2021 gegeben, solange Daten und Fragebögen des Glücksspiel-Survey 2021 weiter unter Verschluss gehalten werden? Falls ja, wie begründet der Senat dies?“
  • „Angesichts der finanziellen Förderung des Glücksspiel-Survey durch den Deutschen Lotto- und Totoblock: Sollte nach Auffassung des Senats die Vergabe der zentralen Studie zu Glücksspiel- und Glücksspielsuchtprävalenz künftig durch ein Gremium erfolgen, welches nicht selbst Teilnehmer am deutschen Glücksspielmarkt ist (bspw. durch die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder)? Falls nein, warum nicht? Falls ja, sind hier entsprechende Initiativen geplant und gibt es bereits einen zeitlichen Rahmen zur Umsetzung?“
  • „Wie bewertet der Senat, dass laut dem Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) im Jahr 2022 bundesweit lediglich 11.686 Klienten mit Glücksspielproblematik ambulante und weitere knapp 400 Personen stationäre Suchthilfemaßnahmen in Anspruch genommen haben, d.h. lediglich ca. 0,9% der laut Glücksspielatlas 1,3 Millionen pathologisch Spielenden in Behandlung sind?“

Fazit

Eine Kleine Anfrage ist genau das, was der Begriff sagt: Es geht hier um die Beantwortung einer oder weniger Fragen von Politikern oder Parteien durch eine Exekutive, in diesem Fall den Bremer Senat. Für die Bearbeitung werden normalerweise keine größeren Recherchen betrieben und es ist keine Diskussion im Parlament vorgesehen. Somit dürfte die Kritik der FDP keinen direkt spürbaren Einfluss haben. Sie ist eher als ein Werkzeug der Opposition zu sehen, um gewisse Vorgänge, die durch die regierenden Parteien geduldet werden, zu kontrollieren und sich mit der eignen Politik dagegen zu positionieren. Eine wie im Schreiben der Bremer FDP verfasste Rechenschaftsaufforderung ist typisch.

Wenn sie auch nicht direkt wirkt, kann sie dennoch die Wählerschaft und daraufhin nach der nächsten Wahl die Politik in eine andere Richtung leiten – oder zumindest dazu beitragen. Für das Glücksspiel in Deutschland und entsprechende Erhebungen bedeutet sie in jedem Fall eine weitere Chance für mehr Transparenz. Darüber hinaus ist nicht zu verachten, dass viele politische Meinungen und Handlungen durch die Daten von Glücksspielatlas und Glücksspiel-Survey geprägt sind. Würde offiziell bestätigt, dass es an Unabhängigkeit mangelt(e), könnte das die bisherigen Standpunkte ordentlich durcheinanderwirbeln. Es ist davon auszugehen, dass die FDP die Antworten möglichst öffentlichkeitswirksam für ihre Zwecke einsetzen wird.

Quelle des Bildes: https://pixabay.com/photos/euro-gift-hand-keep-give-a-gift-3317432/

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2 Kommentare zu: FDP zweifelt an Unabhängigkeit von Glücksspiel-Survey und Glücksspielatlas

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Vertraue keiner Umfrage, die du nicht selbst gefälscht hast.
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bin jetzt nicht geschockt aber danke für diesen informativen Beitrag. Gerne mehr davon
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